Die Geschichte des Schachtürken

Die Geschichte des Schachtürken

Wie ein österreichisch-ungarischer Hofbeamter seine Zeitgenossen narrte und zugleich die moderne Robotertechnik vorwegnahm.

Dass wir eine gewisse Affinität zu Technik im Allgemeinen und revolutionären Entwicklungen im Bereich der Robotertechnik oder gerne auch der künstlichen Intelligenz im Besonderen mitbringen, mag für eine Digitalagentur nicht völlig überraschend sein. Dieses Mal möchten wir aber einen großen Schritt zurückgehen und uns mit einer Erfindung befassen, die die Menschen vor gut 250 Jahren in ihren Bann zog. Dass sie dabei einem genialen Schwindel aufsaßen, macht die Geschehnisse auch heute nicht weniger faszinierend. Besonders wenn man bedenkt, wie weit besagte Erfindung damals ihrer Zeit voraus war und es sogar vermochte, selbst unsere aktuellen Entwicklungen zu beeinflussen. Dies ist die Geschichte des Schachtürken.

Im Jahr 1769 präsentierte der Hofbeamte Wolfgang von Kempelen Kaiserin Maria Theresia und ihrem staunenden Hofstaat eine beeindruckende Erfindung. Eine große Kiste, auf der ein Schachbrett platziert war und an deren Ende eine beinahe lebensgroße Puppe in traditionell osmanischer Tracht saß. Wurde die Maschine herausgefordert, gab sie ein rasselndes Geräusch von sich und zog dann die Spielfiguren über das Feld. Nicht irgendwie: bedeutende Spieler ihrer Zeit traten gegen die Maschine an und verloren reihenweise gegen den vermeintlichen Roboter.

Zunächst waren viele Zeitgenossen skeptisch. Die Kiste bot genügend Platz für einen kleinen Menschen, der die Maschine manuell hätte steuern können. Von Kempelen aber öffnete die angebrachte Tür und präsentierte den Zuschauern das Innenleben: Zahnräder und andere technische Vorrichtungen, aber kein Kleinwüchsiger, wie viele vermutet hatten. Die einzig mögliche Erklärung schien also, dass der Schachtürke ein Eigenleben hatte. Das hätte ihn nicht nur zum ersten Roboter gemacht, sondern sogar zu einer intelligenten Maschine, die das „Spiel der Könige“ besser beherrschte, als die meisten Menschen.

Zu von Kempelens Lebzeiten konnte das Geheimnis nicht enthüllt werden. Berühmtheiten wie Edgar Allen Poe schrieben Abhandlungen über die Maschine, Napoleon höchstselbst spielte eine Partie gegen den Türken, versuchte diesen durch unerlaubte Züge zu überlisten, was dann die Maschine dazu brachte, wütend die Figuren vom Feld zu fegen – und den Kaiser danach trotzdem zu besiegen.

Nach von Kempelens Tod ging der Schachtürke in den Besitz von Johann Nepomuk Maelzel über, der ihn in aller Welt vorführte.
Gelüftet wurde das Geheimnis schließlich, als ein Zuschauer während einer Vorführung „Feuer“ rief und die Leute nach draußen stürmten. Dem Vernehmen nach öffnete sich da auch die Tür der Kiste und ein versteckter Spieler kletterte heraus.

Von Kempelen und später Maelzel hatten den Zuschauern zwar den Innenraum der Maschine gezeigt, ein verschiebbarer Sitz und klappbare Trennwände sorgten aber dafür, dass die Beobachter den Schachspieler im Inneren trotzdem nicht zu Gesicht bekamen.

Begann die Partie, breitete dieser Spieler ein eigenes Schachbrett vor sich aus, dessen Spielzüge mittels eines Pantografen und des Armes der Puppe auf das sichtbare Spielfeld außen übertragen wurden.

Die Züge seines Gegners konnte der verborgene Spieler nachvollziehen, da die Figuren starke Magneten enthielten, die innerhalb der Kiste eine Metallscheibe an einem Draht anzogen und so unterhalb des jeweiligen Feldes platzierten. Der Innenraum muss extrem heiß und unbequem gewesen sein, da die jeweiligen versteckten Spieler (unter anderem wahrscheinlich von Kempelens Tochter) aber so gut waren, dauerten die Partien selten lange.

Auf den ersten Blick mag die Lösung des Rätsels enttäuschen. Es gab also im 18. Jahrhundert keinen Roboter und keine künstliche Intelligenz. Bei näherer Betrachtung wird aber klar, wie genial und bahnbrechend von Kempelens Erfindung war, welch ausgeklügeltes System dahintersteckte und letztendlich wie der Beamte die Entwicklungen unserer Zeit vorwegnahm.

Die ersten Schachcomputer bezogen sich beispielsweise ausdrücklich auf den Türken und ließen seine vorgespielten Handlungen Wirklichkeit werden. Von „echten“ Robotern, die wirklich ausführen können was der Schachtürke nur vorgab, schrieben wir schon an anderer Stelle.

Davon abgesehen hatte der Schachtürke wahrscheinlich auch Einfluss auf unseren Sprachgebrauch. Noch heute bezeichnen wir etwas als „getürkt“, wenn uns etwas vorgespielt wird und wir so hinters Licht geführt werden sollen.
Ganz so wie der erste Beinahe-Roboter der Welt, der die Menschen zumindest zu seiner Zeit glauben machte, dass Maschinen zu eigenem Denken und eigenen Handlungen fähig und unter bestimmten Vorraussetzungen sogar dem Mensch überlegen sein könnten.

Leider wurde der echte Schachtürke 1854 Opfer eines Feuers im Museum von Philadelphia und ist so für die Nachwelt verloren. Seit 2004 gibt es aber einen Nachbau im Heinz Nixdorf Museum in Paderborn.

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