Innenstadtbummel – Innovationen im stationären Einzelhandel

Der Onlinehandel ist auf dem Vormarsch. Leidtragende sind die Läden und Kaufhäuser „vor Ort“, die jetzt mit technischen Neuerungen zurückschlagen (wollen).

In einer veritablen Krise befindet sich der klassische Einzelhandel gefühlt seit der Sekunde, in der der erste Kunde auf das Internet aufmerksam wurde und sich dachte „Momentchen mal…könnte das heißen, ich muss nie wieder einen Fuß in ein lautes, stickiges, überfülltes Einkaufszentrum setzen?“. Genau das heißt es nämlich und während die einen Anbieter den Spagat zwischen Filiale vor Ort und Onlineshop geschafft haben, taten und tun sich andere verdammt schwer damit. Man muss sich strecken, um die Zielgruppe zum physischen Einkaufsbummel zu animieren, wenn die Alternative bedeutet, dass alles Nötige auch in Unterwäsche von der heimischen Couch aus geordert werden kann und man die Einkäufe noch nichtmal schleppen muss.

Dass sich der Einkauf außerhalb der eigenen vier Wände daher ändern wird, zeigt aktuell Amazon Go. Zahlen ohne Bargeld wird aber nicht die einzige Neuerung werden, auf die wir uns in naher Zukunft einstellen können. Immer wichtiger wird die Digitalisierung des Einkaufens, auch und gerade in Läden selbst. Ein einfaches Preisschild überzeugt den interessierten Kunden höchstens noch im Falle eines saftigen Preisnachlasses vom tatsächlichen Kauf. Daher lautet die Devise „mehr E-Commerce im Einzelhandel“. Zum schnöden Preisschild bekommt der Kunde weiterführende Informationen über Hersteller, Variationen, Material und weiteren Artikeln, die zum ausgewählten passen. Eben alles, was den Einkauf online auch auszeichnet.

Einen Schritt weiter gehen die Versuche, die Möglichkeiten der Augmented Reality für den Einzelhandel zu nutzen. Mittels passender Apps werden dem interessierten Kunden die Möglichkeiten des Artikels seiner Wahl auf dem Smartphone vorgeführt. Kundenservice funktioniert so unabhängig von tatsächlich anwesenden Mitarbeitern. Die App übernimmt die Beratung.

Eine optimierte Verbindung von Technik und menschlichen Kompetenzen im stationären Handel bieten die Umkleidekabinen von Phizzard. Der interaktive Spiegel in diesen Kabinen berät die Kunden, schlägt ihnen Kombinationen, vergleichbare Artikel und Größen vor. Die Auswahl des Kunden wird dann an das Tablet der Mitarbeiter im Laden gesendet, der die Artikel direkt zur Umkleide bringt. Sollte ein Wunschartikel mal nicht vorrätig sein, bietet Phizzard die Möglichkeit, diesen direkt zu bestellen.

Als mobiler Einkaufshelfer fungiert der wiiGO-Roboter, der seinen Nutzer kurz scannt und sich „merkt“, ihm dann in angemessenem Abstand durch den Laden folgt und beladen werden kann. Ein selbstfahrender Einkaufswagen mag noch kein alleiniger Grund sein, die heimische Behaglichkeit zu verlassen, ein nettes Spielzeug auf der einen und eine echte Hilfe für Menschen mit Gehbehinderung oder Personen mit Kinderwagen auf der anderen Seite ist er aber trotzdem.

Während die bisher aufgeführten Ideen das Einkaufserlebnis verbessern sollen, geht Storefactory die Problematik von der anderen Seite aus an. Unique Content lautet die Devise nämlich nicht nur bei der Suchmaschinenoptimierung, sondern auch im Einzelhandel. Das Prinzip Storefactory bietet dabei aber nicht nur Artikel, die es sonst nirgends zu kaufen gibt, sondern solche, die bisher überhaupt noch nicht existieren. Das Projekt, das von adidas ins Leben gerufen und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird, bietet Kunden die Möglichkeit, sich ihre individuelle Kleidung vor Ort im Geschäft selbst zu „produzieren“. Ein Körperscanner vermisst dabei den interessierten Käufer, der dann aus Farben, Motiven und Schnitten auswählen kann und den Produktionsauftrag durch Abschließen des Vorgangs direkt an eine Maschine im Laden weitergibt, die das Kleidungsstück vor Ort fertigt. So erhält man Kleidung, die nicht nur individuell ist, sondern auch perfekt sitzt.

Die hier aufgeführten Beispiele zeigen, dass es Bestrebungen gibt, den stationären Einzelhandel wieder attraktiver zu machen und das Feld eben nicht kampflos dem Onlineversand zu überlassen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass all diese Innovationen bestenfalls ein Nischendasein fristen. Ob durch Projekte, wie die hier aufgeführten oder andere: Kaufhäuser und Läden werden sich dringend etwas einfallen lassen müssen, um ihre jeweilige Zielgruppe vor die Haustür zu locken. Hoffnung scheinen dabei viele Anbieter nicht zu haben, sondern verharren (gefühlt) in Schockstarre oder verlagern ihr Hauptgeschäft nachdrücklich in den E-Commerce-Sektor. So könnte es sein, dass die neuen, spannenden Entwicklungen zu spät kommen. Oder zumindest die Schlangen vor all den Ganzkörperscannern, Infoterminals und Umkleidekabinen deutlich kürzer werden. Dann gibt es vielleicht doch wieder einen Grund, das eigene Sofa zu verlassen.

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