Nichts geht mehr! – Stromausfall im Büro, ein Drama in drei Akten

Die folgenden Ereignisse haben sich vielleicht, vielleicht aber auch nicht, so oder ganz anders zugetragen.

Prolog

Betritt man morgens das Bürogebäude, in dem die eigene Agentur untergebracht ist und wandelt dort durch einen stockdunklen Flur, der eigentlich hell erleuchtet sein sollte, begegnen einem zwei Sorten von Menschen.
Die einen grinsen, grüßen mit einem langgezogenen „naaaaaaa?“ und lassen den Blick zunächst zu den Deckenlampen schweifen, um einen dann direkt zu fixieren und mit einem nervös-begeisterten Nicken zu bedenken. Das sind die Angestellten, Mitarbeiter, Praktikanten und Azubis. Für die ist das hier ein Erlebnis.

Die anderen nehmen einen gar nicht wahr. Sie marschieren im Stechschritt über die dunklen Flure, starren abwechselnd auf ihr Handy und besagte Deckenlampen, fluchen leise vor sich hin und antworten auf das freundliche „Morgen!“ mit „Ja“. Das sind die Chefs, die Abteilungsleiter, die Vorgesetzten und Entscheider. Für die ist das hier eine Katastrophe.

Stromausfall! Das letzte Abenteuer des urbanen Agenturmenschen. Hier ist noch das Archaische gefragt. Der Überlebenswille. Survival of the Fittest (und fit ist hier, wer mit dem stärksten Akku aufwarten kann).

I. Akt

Zunächst stehst Du etwas ratlos im Büro. Immerhin hat dein Arbeitstag bereits angefangen. Normalerweise würdest Du jetzt Emails checken, den Büro-Messenger anwerfen, dein Tagwerk beginnen. Aber es gibt nunmal keinen Strom und so tust Du nichts.
Die handlungsschnellste Kollegin sprintet in die Küche und beginnt die zwei Kaffeetassen zu spülen, die noch von gestern stehen geblieben sind. Nur nicht untätig sein. Ihr dämmert als erstes, dass es heute vorerst keinen weiteren Kaffee geben wird. Der verdammte Strom! Schlagartig wird euch bewusst, wie ernst die Lage ist und ihr versteht, was euer Chef meinte, als er „Das darf nicht wahr sein!“ rief und zur Hauptsicherung im Keller rannte.

Ein Blick aus dem Fenster zeigt, dass der Rest der Straße ebenso stromlos ist wie dein Gebäude. Ein weiterer Blick auf den Twitteraccount des lokalen Stromanbieters zeigt, dass das Problem offenbar größer ist. Hier ist von „Störung“ die Rede. Man entschuldigt sich. Das klingt nicht gut. Die erste Mitarbeiterin stößt ein lautes Wehgeheul aus. Kein Datenvolumen mehr! So kann man eine solche Ausnahmesituation nicht erfolgreich meistern.

Dein Akku ist bei 24%. Das hätte normalerweise locker gereicht. Aber jetzt? Der Tweet, der davon ausgeht, dass das Problem bis 11 Uhr der Vergangenheit angehören wird, wird in Richtung Bedeutungslosigkeit verdrängt. „Wir versuchen die Störung bis ca. 14 Uhr zu beheben. Sorry. Smiley.“ Dir wird schwindelig.

II. Akt

Teile der Agentur bringen das ultimative Opfer: raus auf die Straße, in den Supermarkt für Kaffee und Brötchen. Soweit ist es gekommen, dass selbst Bewegung eine bessere Option zu sein scheint, als der zermürbende Stillstand. Winkend und mit Tränen der Rührung in den Augen stehen die, die zurückbleiben am Fenster. Monotonie macht sich breit. Lagerkoller. Die sozialen Netzwerke nebst Messenger werden nur noch alle zwei Minuten gecheckt. Man lernt hauszuhalten. Verzicht. Die Leere wird ein harter, aber treuer Begleiter.

Das Leben wird mühselig. Die gute Nachricht ist, dass das elektronische Türschloss des Gemeinschafts-WCs im Flur batteriebetrieben ist. Die schlechte, dass Du innen die Hand vor Augen nicht sehen kannst. Den Gedanken, dir Hilfe zu rufen, verwirfst Du und schaltest stattdessen die Taschenlampe am Handy an. Während des Händewaschens überlegst Du, wann Du zuletzt mit einer Taschenlampe in einer öffentlichen Toilette gestanden hast und merkst apathisch, dass Du hier gerade ganz alleine in der Finsternis eine Premiere feierst.

Der nächste harte Schlag kommt, als selbst der dauerverspielte der beiden Agenturhunde dich mitleidig ansieht, anstatt dem getretenen Ball hinterherzujagen, wie er es seit knapp zwei Stunden durchgehend getan hat. Soweit ist es also gekommen. Das Ende der Spiele ist erreicht. Es tut zu diesem Zeitpunkt nicht mal mehr weh.

III. Akt

Die Kollegen, die losgezogen sind für heiße Getränke und trockene Brötchen kehren zurück. Sie werden begrüßt wie Helden. Ihre Taten sollen nie vergessen werden. Statt wie gewöhnlich Mittagspause zu machen, entschließt ihr euch zu einem späten zweiten Frühstück. Früher sagte man in der Regel „Brunch“ dazu, aber ihr seid euch nicht sicher, welche Regeln heute noch gelten.

Während des Essens schalten sich beinahe gleichzeitig der Kühlschrank, die Telefone und verschiedene Deckenfluter wieder an, als wäre nie etwas gewesen. Es ist 13:20 Uhr. Zunächst herrscht ungläubige Stille, dann fallt ihr euch jubelnd in die Arme. Jeder hochfahrende Rechner wird mit einer La-Ola-Welle bedacht. Mobiltelefone werden euphorisch an Strom angeschlossen und japsen erleichtert nach dem süßen Saft. Einige Kollegen drehen johlend eine Ehrenrunde auf dem Robosauger, den mittlerweile zimmertemperierten Sekt in der Hand. Spaßeshalber ruft ihr alle Kunden auf dem Festnetz an. Einfach weil ihr es wieder könnt. Vielleicht habt ihr einen halben Tag vergeudet. Aber ihr habt es geschafft. Ihr seid Überlebende. Und ihr habt nie eure Besonnenheit oder gar eure Würde verloren.

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