Verbrechen hautnah – Tatortanalyse durch Virtual Reality

Virtual Reality ist nicht ausschließlich Spielerei oder Social Media Tool. Auch bei der Verbrechensaufklärung wird sie in Zukunft ein Faktor werden.

Der Siegeszug der virtuellen Realität mag langsam anlaufen, verspricht dafür aber umso nachhaltiger zu werden. Während sich gerade die mediale Konzentration dabei vor allem auf den Unterhaltungssektor in Form von Spielen und oscarnominierten Kurzfilmen richtet, wird Virtual Reality auch in ganz anderen Sparten neue Möglichkeiten eröffnen. Besonders weit fortgeschritten ist die Entwicklung hier im Bereich der Forensik.

So bietet das Schweizer Virtopsy-System schon länger die Möglichkeit, mit Hilfe eines Oculus-Rift-Headsets Verbrechen virtuell nachzustellen. Dabei nutzt das System neben forensischen Daten und Abmessungen des Tatorts und der Opfer auch beispielsweise Überwachungskameras und fügt die einzelnen Teile zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Vor Gericht sollen Richter, Anwälte und Prozessbeobachter so besser nachvollziehen können, wie sich ein Verbrechen zugetragen hat und welche äußeren Faktoren möglicherweise eine Rolle gespielt haben.

Eine ähnliche Herangehensweise verfolgt auch der englische MABMAT Rover, ein von NASA-Rovern inspirierter Roboter, der 360° Aufnahmen von Tatorten machen kann und aus diesen einen virtuellen Nachbau kreiert, der mittels eines VR-Headsets nachträglich besichtigt und untersucht werden kann. Ein großer Vorteil gegenüber den bisher üblichen Fotos und 2D-Videos. Das System des Forschers Mehzeb Chowdhury befindet sich derzeit noch in der Entwicklung, soll aber nur um die 400$ kosten, zumindest sofern Investoren die Produktion und den Vertrieb übernehmen.

Auch das Bayrische Landeskriminalamt macht Tatorte begehbar. Durch 3D-Lasermesssyteme werden die Schauplätze schlimmer Verbrechen nachgestellt, so dass Ermittler auch Jahre oder Jahrzehnte später noch einen realistischen und beinahe hautnahen Eindruck erhalten. Diese Technik kann auch bereits jetzt vor Gericht herangezogen werden und Geschehnisse und Sachverhalte nachträglich klären. Die bisher bekannteste Anwendung half so der Staatsanwaltschaft Dortmund zu beweisen, dass ein ehemaliger KZ-Aufseher von seinem Wachturm aus eine weitestgehend ungehinderte Sicht auf die Krematorien hatte und so durchaus wissen musste, an welchem Ort er seinen täglichen Dienst verrichtete. Dafür wurde ein virtuelles Modell des Konzentrationslagers Auschwitz gebaut, welches die Umgebung zur Zeit des Holocausts nachstellte. Der ehemalige Wachmann konnte auch durch die neue Technik wegen der Beihilfe zum 170.000-fachen Mord verurteilt werden (wobei derzeit noch ein Revisionsverfahren läuft).

Auch bei Mordfällen in kleineren Massstäben kann die Technik theoretisch eingesetzt werden. Leider ist ihr Einsatz sehr zeit- und damit kostenintensiv, so dass er nur bei wenigen Verfahren zum Einsatz kommen kann.

So interessant derartige Entwicklungen auch erstmal wirken, weit verbreitet sind sie bisher noch nicht. Die Judikative gilt in vielen Ländern eher als konservativ, besonders auch was den Einsatz neuer Technologien in laufenden Verfahren angeht. Da es bisher wenige Fälle gibt, in denen Virtual Reality angewendet wurde, kann die Sorge, dass die Technik einseitig und schlimmstenfalls manipulierend eingesetzt werden könnte, noch nicht völlig von der Hand gewiesen werden. Der relativ hohe Preis lässt zudem befürchten, dass ihr Einsatz am Ende eine Geldfrage sein wird und sie somit nur demjenigen hilft, der sie sich leisten kann.

Sollte die Entwicklung aber in einem ähnlichen Tempo fortschreiten, besteht die Hoffnung, dass virtuelle Tatortanalyse in naher Zukunft weiter verbreitet, „alltagstauglicher“ und günstiger wird, so dass die Ermittlungen und dann in letzter Instanz die Rechtsprechung unterstützt, vereinfacht und natürlich vor allem genauer gemacht werden können.

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